Das GER-GS-Projekt

Das SNF-GER-Projekt der ZHAW in Winterthur

Ziel und Resultate des SNF-GER-Projektes der ZHAW in Winterthur

Hier an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) wurde das SNF-Projekt zum Thema Gebärdensprachkompetenz durchgeführt: Es gab im Projekt verschiedene Phasen, eine erste und eine zweite Phase. In der Phase 1 für den Bereich „Produktion“ haben wir Deskriptoren empirisch gesammelt und dann statistisch kalibriert. In der Phase 2 für „Rezeption“ haben wir die Deskriptoren der „Produktion“ für den Bereich der „Rezeption“ abgeleitet und diese dann durch Fachwissen mit zusätzlichen Deskriptoren ergänzt. So haben wir (auch für den Bereich „Rezeption“) eine Deskriptoren-Liste gemacht und sie durch eine Umfrage statistisch kalibriert. Diese Deskriptoren von beiden Bereich (GS Produktion und GS Rezeption) ergänzen den existierenden GER für Lautsprachen (LS). Ziel des Projektes ist es, die je 7 Skalen/Kategorien für beide Bereiche (Produktion und Rezeption) genau zu definieren. Ihr könnt auf dieser Homepage die genaue Beschreibung der 7 Skalen finden.

Methode und Vorgehen des Projektes in 6 Schritten

Im Projekt wurden verschiedene Methoden gemischt, der Ansatz heisst «mixed methods». Das bedeutet, dass im Projekt intuitive, qualitative und quantitative Methoden kombiniert wurden.

1. Schritt: Definition von Texttypen

Als 1. Schritt mussten wir sechs Texttypen definieren. Wir haben dafür allgemein bekannte Texttypen aus der Texttheorie übernommen. Fünf unserer Texttypen sind in der Sprachwissenschaft allgemein bekannt: 1. Beschreiben (BES), 2. Erzählen (ERZ), 3. Erklären (ERK), 4. Berichten-Informieren (BER-INFO), 5. Argumentieren (ARG). Diese fünf Texttypen sind nicht (laut)sprachabhängig, sie beziehen sich mehr auf menschliche Denkmuster, das bedeutet, sie beziehen sich darauf, wie Menschen Gedanken verknüpfen. Darum konnten wir sie für die Gebärdensprache übernehmen. Der sechste Texttyp aber ist ein typisch gebärdensprachliches Ausdrucksmittel: 6. Inszenieren (INS). Gemeint sind hier poetische Texte, die für einen Bühnenauftritt oder für eine Videoaufnahme geplant sind, wie beispielsweise ein «Deaf Slam».

2. Schritt: Die Bestimmung von Experten und Expertinnen

Wir haben in der Deutschschweizer Gebärdensprachgemeinschaft eine Umfrage gemacht, mit der Frage, welche Personen in DSGS am besten beschreiben, erzählen, erklären, berichten-informieren, argumentieren und inszenieren können (wir haben nach allen Texttypen gefragt). Unser Ziel war es nicht, selber zu entscheiden, sondern die GS-Gemeinschaft sollte entscheiden, welche Personen ihrer Meinung nach die Expertinnen und Experten für den jeweiligen Texttyp sind. So haben wir durch die Antworten der Umfrage Namen von Personen mit besonderer Textkompetenz bekommen, die zum Beispiel besonders gut beschreiben, berichten oder erzählen können.

3. Schritt: Die Erstellung von Experten-Videos

Die Expertinnen und Experten von der Rangliste, die wir (wie im Schritt 2 erklärt) bestimmten, haben wir gefragt, ob sie bereit sind, für uns ein Video zu produzieren. So haben wir insgesamt 18 Experten-Videos bekommen. Da die Expertinnen und Experten die Gebärdensprache als Muttersprache beherrschen, ist die Kompetenz dieser Videos über dem Niveau C2 anzusetzen. Pro Texttyp gibt es drei Videos mit drei verschiedenen Experten bzw. Expertinnen.

4. Schritt: Die Workshops

Als Nächstes haben wir alle Lehrpersonen, die DSGS unterrichten, zu Workshops eingeladen. Insgesamt haben wir die Lehrpersonen drei Mal in den drei verschiedenen Projektphasen zu einem Workshop eingeladen, es gab die intuitive, die qualitative und die quantitative Phase. Im 1. Workshop, in der intuitiven Phase, haben wir den Lehrpersonen einzelne Experten-Videos gezeigt, beispielsweise ein Video zu „Argumentieren“. Dann haben wir sie gefragt, welche Kompetenzen der Lernende nacheinander lernen muss, um selber so einen guten Text (wie im Video) produzieren zu können. Die Lehrpersonen haben intensiv überlegt. Da sie viel Unterrichtserfahrung mitbrachten, konnten sie uns zahlreiche Antworten liefern. So konnten wir viele Kompetenzen sammeln, die die Lehrpersonen im Zusammenhang mit den Experten-Videos erwähnten. Die Lehrpersonen haben intuitiv und empirisch geantwortet.
Ein halbes Jahr später haben wir die Lehrpersonen zu Phase 2 eingeladen und ihnen die Resultate von Phase 1 gezeigt, d. h. die Liste mit den gesammelten Kompetenzen. Gemeinsam haben sie diese Sammlung korrigiert und verbessert. Dies fand in der qualitativen Phase statt, in der es darum geht, die Kompetenzen besser zu formulieren, sie zu strukturieren, zu diskutieren und probieren, sie in Kategorien einzuteilen. Das Ziel war es, die Deskriptoren so zu formulieren, dass sie allgemein für die Gebärdensprache, nicht nur für die DSGS, gelten.
Das Projektteam hat auch eine Validierung in Form eines Experimentes gemacht. Damit konnten wir beweisen, dass die Deskriptoren für Personen mit Fachwissen und Unterrichtserfahrung in GS einen Sinn ergeben.
In der dritten Phase, der quantitativen Phase, haben wir die Lehrpersonen ein drittes Mal für die statistische Auswertung der Deskriptoren eingeladen.

5. Schritt: Die quantitative Umfrage

In der dritten, der quantitativen Phase, haben wir alle Deskriptoren auf DSGS und International Sign (IS) übersetzt und in Videoform festgehalten. IS ist keine offizielle Sprache. Sie wurde im Projekt nur als „Lingua Franca“ eingesetzt, damit wir auch Personen befragen konnten, die kein DSGS beherrschen.
Wir haben online mit allen Deskriptoren in Videoform eine Umfrage erstellt, die wir an gehörlose DSGS-Lehrpersonen und an GS-Lehrpersonen mit L1-Kompetenz in ganz Europa geschickt haben. Sie mussten den Schwierigkeitsgrad der Deskriptoren von 1-4 einschätzen. Die „1“ bedeutete „nicht schwierig“ und die „4“ bedeutete sehr schwierig. Mittels des „Rasch-Modells“ haben wir so für jeden Deskriptor einen genauen statistischen Wert bekommen. Und es hat sich durch die Zahlen gezeigt, wenn ein Deskriptor keinen Sinn ergibt und nicht gebraucht werden kann. Diesen haben wir dann aus der Liste entfernt und gelöscht. Am Schluss wurden alle verbleibenden Deskriptoren kalibriert und ihr Wert festgehalten, das bedeutet, man konnte dann sehen, welche Sprachkompetenz zu welchem Sprachniveau gehört.

6. Schritt: Die Ergänzung der Deskriptoren um den Bereich der “Rezeption”

Im Anschluss haben wir die Deskriptoren für den Bereich „Sprachrezeption“ formuliert. Dafür haben wir einerseits Deskriptoren aus dem Bereich „Produktion“ abgeleitet und andererseits einige durch theoretische Überlegungen ergänzt. Danach haben wir den Schritt 5, die quantitative Umfrage, für die Deskriptoren zur Rezeption noch einmal durchgeführt. Das bedeutet, dass wir die neuen Deskriptoren wieder in Videoform (DSGS und IS) umgesetzt und auf Basis der Umfrage kalibriert haben.
Wir freuen uns, dass wir auf unserer Homepage nun alle Deskriptoren zu GS-Sprachproduktion und GS-Sprachrezeption veröffentlichen und präsentieren können!

Poster "Deskriptoren für kommunikative Kompetenzen in Gebärdensprachen im GER

Literatur

J. Keller - Zur Entwicklung von Deskriptoren für Gebärdensprachen (pdf)